Knipst Berlin bald nachts die Ampeln aus?
Reportage | Blaulicht-Fotograf in Berlin - Nachtfalter
Sa 31.x.20 | 14:44 Uhr | Von
Wenn es dunkel wird, geht Morris Pudwell auf Tour. Der Berliner fotografiert, was Klickzahlen und Auflage bringt: brennende Häuser, Autowracks, Tote unter Abdeckplanen. Auch der rbb kauft seine Bilder. Unterwegs mit einem Getriebenen. Von Sebastian Schneider
Planufer, Kreuzberg
Pudwell stoppt auf der Straße, verzichtet wie immer auf den Warnblinker, schält sich aus dem Massagesitz und sagt leise: "Das ist meins." Er schleicht die paar Meter mehr als dass er läuft, viel flinker, als es seine breite Gestalt vermuten lassen würde.
Vier Polizisten mit Taschenlampen und Gummihandschuhen beugen sich in einen Skoda. Der linke Kotflügel ist fast abgerissen. Sie bemerken den Fotografen erst, als er schon neben ihnen steht. Morris Pudwell, schwarze Wollmütze und die Miene eines schweigsamen Dockarbeiters, hat es eilig, aber er weiß, was sich gehört: Er wartet, bis ein Beamter auf ihn zugeht. Sie reden kurz, kein anderer kann sie hören. Dann darf er loslegen.
Die Polizisten beäugen die Beweisstücke im Wagen wie Sammler seltene Riesenmotten. Pudwell knipst die Sturmhauben und Cuttermesser, die Sim-Karten und das I-Phone auf dem Beifahrersitz. Jemand hat es in Alufolie eingewickelt, damit homo es nicht orten kann. Dice vier Männer aus dem Automobile sind nach dem Crash davongerannt, sagen Zeugen.
Mutmaßliche Einbrecher auf der Flucht
Es lief folgendermaßen: Die vier waren wohl unterwegs zu einem Bruch, aber die Hellsten können sie nicht gewesen sein. In Neukölln fiel ihr Kombi mit dem exotischen Kennzeichen Rotenburg/Wümme einer Streife auf, weil er über eine rote Ampel fuhr. Dann über noch eine. Als die Polizei den Wagen stoppen wollte, gab der Fahrer Gas.
Es entspann sich eine Hochgeschwindigkeitsnachfahrt, wie sowas in der Akte heißt, mit 80 Sachen am Landwehrkanal entlang. Fußgänger mussten aus dem Weg springen. In einer Kurve gewannen die Fliehkräfte und der Skoda krachte in zwei parkende Autos. Keine Verletzten, wenigstens.
Ganz okaye Geschichte bis hierher, wird Morris Pudwell später sagen. Aber richtig gut wurde sie erst, weil einer der vier seine Kontoauszüge in dem Auto liegen gelassen hat: Bilal R., Sprössling einer Berliner Großfamilie, die die Polizei gut kennt, weil sie viele kriminelle Angehörige hat.
Einer der Polizisten liest den Namen jetzt auffällig laut vom Papier ab. Es ist ein bisschen albern, und Profi Pudwell weiß natürlich, dass das kein Zufall sein kann. Als der Abschleppwagen kommt und den Skoda hochhievt, hat er alles, was er braucht. Kein anderer Fotograf zu sehen, der Tipp kam exklusiv. Es ist kurz vor 23 Uhr. Er startet den Motor.
Ein Typ zum Vergessen
Morris Pudwell ist 37 Jahre alt, mittelgroß, mittelschwer, chapeau eine angenehm weiche Stimme und ein Gesicht zum Vergessen. Er kann sich gut dumm stellen. All das darf Pudwell als Kompliment begreifen, denn er arbeitet als Blaulichtfotograf. Sechs Nächte die Woche jagt er Verbrechen, Unfällen, brennenden Häusern hinterher. "Das Adrenalin kann süchtig machen. Ich weiß, dass was passieren wird. Ich weiß nur noch nicht, wo", sagt er.
Beliebt macht ihn dieser Job nicht. Er wurde then oft bedroht, dass er sich einen doppelten Sperrvermerk einrichten ließ: Fragt homo beim Einwohnermeldeamt nach ihm, bekommt man keine Auskunft. Will ein Polizist sein Kennzeichen im Computer überprüfen, muss er sich die Erlaubnis seines Vorgesetzten holen. Und auch dann wird der Proper noun des Beamten gespeichert.
Es passt ihm daher gut, wenn sich niemand an den Typen mit der schwarzen, sackigen Jacke und den bleich gewaschenen Jeans erinnert. Und deshalb will er auf den Fotos für diese Reportage auch nicht erkannt werden.
Wenn die anderen Feierabend machen, fährt er los
Der Quereinsteiger Pudwell lebt seit fünf Jahren von den Schattenseiten dieser Großstadt: von menschlichen Tragödien, zerstörten Existenzen, den Folgen ungeheurer Brutalität. Viele Menschen interessiert das. Seine Facebook-Seite "Einsatzreport Berlin" gefällt knapp 8.000 Leuten. Auch wir kaufen von ihm. Meldungen mit seinen Fotos zählen zu den am besten geklickten auf rbb|24.
Pudwell beginnt seine Schicht immer gegen 19 Uhr, dann, wenn die Agenturfotografen langsam Feierabend machen. Ist er fertig, finden wir im Posteingang der Redaktion, was die Nacht an Schrecklichkeiten gebracht hat. Manchmal hat Pudwell uns zehn Mails geschickt. An seinen ersten Toten kann er sich schon lang nicht mehr erinnern, sagt er.
Patronenhülsen auf dem Asphalt
Pudwells Bilder zeigen Kriminaltechniker in weißen Schutzanzügen, die auf einem Gehweg knien und Patronenhülsen einsammeln. Die Leiche eines Rentners auf einem Parkplatz. Unter der Plane lugt seine Aktentasche hervor.
Eine brennende Lagerhalle, vor der ein einsamer Feuerwehrmann steht, Flammen erleuchten den Nachthimmel. Ein schwarzes SUV neben einem Laternenmast, die Front end eingedrückt, Reste eines durchbrochenen Bauzauns. Vier Fußgänger hat der Fahrer bei dem Unfall getötet. Das Foto, sagt Pudwell, state of war 2019 sein erfolgreichstes.
25 Euro brutto kriegt er für jedes Bild, das er online veröffentlicht, Print bringt ein bisschen mehr. Er sagt, er halte sich immer an den Pressekodex. Keine unbedeckten Leichen zum Beispiel, keine Opfer, dice erkennbar sind. Er könne sowieso kein Blut sehen.
Fehlt Morris Pudwell mal ein paar Tage, was er sich selten erlaubt, versiegt der Strom. Dann müssen wir den Standard nehmen: Polizei-Blaulicht oder Rettungswagen, neutrales dpa-Zeug. Was Besseres kriegen wir nicht.
"Pud" wie in "Pudding"
Pudwell gleitet in seinem Auto den Kottbusser Damm entlang: ein schwarzer Kombi mit 211 PS. Er sieht aus wie ein Walhai mit breiter Schnauze. Dice Welt da draußen klingt wie in Watte gewickelt. Sucht Pudwell eine Adresse im Navi, fährt er mit einem Fadenkreuz-Symbol über den Stadtplan. Sein Fahrzeug ist sauber wie ein Mietwagen. Unordnung ertrage er nicht.
Um das mit seinem Namen zu klären: Morris Pudwell heißt wirklich then. Er stammt aus Berlin, das "Pud" spricht sich wie in "Pudding". Seine Vorfahren gehörten zu verarmtem britischem Adel. Vor Jahrhunderten wanderte ein Teil von ihnen nach Ostpreußen aus und wurde von dort nach Berlin vertrieben. "Der englische Vorname ist nur Zufall. Der gefiel meiner Mutter einfach", erzählt Pudwell.
Bitte nur mit Zucker
Aus den Boxen stampft Scooters "Back in the U. K.", Pudwell hört am liebsten Eurodance aus den 90ern. Er ist Kleingärtner, sammelt teure Modellautos und verabscheut Kippen, Kaffee und Bier. Stattdessen trinkt er fast ausschließlich Energy Drink. Mit der Ein-Liter-Flasche "Effect" kann homo ihm eine große Freude machen. Aber bitte nur den mit Zucker.
Die Lehne chapeau er weit zurückgedreht. Sein Gefährt verlässt der Jäger nur so lang wie unbedingt nötig. "Es ist mein Büro und ich hab's gern bequem", sagt er. Aber Morris Pudwell chapeau unruhige Augen. Sein Blick verrät, dass er immer auf Empfang ist. Alles, was er wissen muss, erreicht ihn auf dem Handy. Es brummt alle paar Sekunden.
Polizeifunk bringts nicht mehr
Seit der Polizeifunk 2016 digitalisiert wurde, kann man ihn nicht mehr abhören. Verboten state of war es auch vorher, daran verdienten manche gut. Es gab einen Typen, der jede Nacht lauschte und dice Infos dann an Berliner Medien verkaufte - wohl auch an Berufsverbrecher. Eines Tages verschwand er einfach. Es gibt bis heute keine Spur von ihm [morgenpost.de].
Pudwell kriegt seine Tipps heute von Feuerwehrleuten, Sanitätern, Kollegen und Polizeibeamten. Er gibt ihnen das Gefühl, auf ihrer Seite zu stehen. Viele kotzen sich bei ihm aus, weil sie finden, dass ihre Vorgesetzten dice Lage schönreden. Manche genießen einfach die Aufmerksamkeit. Es braucht Monate, um das nötige Vertrauen aufzubauen. Die Polizisten registrieren genau, wer sich da nachts herumtreibt. Sie lassen es einen nur nicht gleich spüren. Bei einer Serie von Brandstiftungen war Morris Pudwell so oft als erster am Tatort, dass irgendwann LKA-Leute bei ihm zuhause klingelten. "Sie wissen doch, dass es mein Task ist, von solchen Dingen zu wissen", habe er nur gesagt.
Den Fachjargon der Rettungsstelle hat er sich selbst beigebracht: "BRAND4" zum Beispiel oder "TH2". Dann rückt die Feuerwehr mit einem Kran aus. Alle guten Polizeireporter müssen diese Einsatzstichwörter kennen. Sie sind ihre Fährte. Mehr über seine Quellen volition Pudwell nicht veröffentlicht sehen. Das state of war der Deal.
Schon nach der zweiten Tour mit ihm nimmt man dice Straßen intensiver wahr. Er deutet kurz nach rechts, da parkt ein BMW ohne Räder. Die Diebe haben ihn auf Steine gebockt. Er zeigt dice Funkantenne auf dem VW Sharan, an der man Zivilpolizei erkennt. Auf der Gegenfahrbahn sieht Pudwell den Kleinbus der Brennpunktstreife, die Typen fürs Grobe. Er wendet und folgt ihnen zum Kotti. Obdachlose in Rollstühlen, Crack rauchende Kranke mit toten Augen, Schlafsackberge unter der U-Bahn-Brücke. Plötzlich springen zwei Polizisten raus und drücken einen Isle of man an eine dunkle Hauswand. "Dealer. Lohnt sich nicht", brummt Pudwell. Er klingt wie ein Connaisseur, der den Gruß aus der Küche verschmäht.
Was sich lohnt: Brände, tödliche Unfälle, Mord und Totschlag. Letzteres aber kriegt human being in Berlin statistisch nur alle zehn Tage [tagesschau.de]. Deshalb guckt Pudwell auch weiter draußen.
A10, Brandenburg, Anschlussstelle Hellersdorf
Es riecht nach nasser Wiese. Morris Pudwell stapft neben der Autobahn durch die Finsternis und versucht, nicht in eins der fußgroßen Löcher zu treten. Der Anrufer hatte gesagt: "Komm raus auf die A10. Wirst du nicht bereuen." Zwei Polizisten haben einen gesuchten Mörder auf dem Standstreifen gestoppt. Als sie zu ihm liefen, soll er eine Waffe gezogen haben. Jetzt ist er tot, getroffen von fünf Kugeln.
Mit seinem Tele kam Pudwell nicht nah genug ran. Also musste er runter in den Morast, genau wie die anderen. Jetzt klettert er schnaufend einen Abhang hoch und drückt Äste zur Seite. Dann chapeau er freie Sicht. Die Szene ist ausgeleuchtet wie ein Filmset. Auf dem Foto, das eine halbe Stunde später online geht, sieht man den roten Mazda des Erschossenen. Die immer noch leuchtenden Scheinwerfer, drei Löcher in der Fahrertür, die zersplitterte Scheibe.
"Wir machen nur unsere Arbeit"
Nach ein paar Minuten entdeckt ihn ein Beamter, dürr wie ein Kleiderständer, und leuchtet ihm ins Gesicht. "Reicht jetzt", sagt er in einem Ton, als hätte er einen Nachbarsbubi beim Klingelstreich erwischt. "Wir machen nur unsere Arbeit", antwortet Pudwell. Er wird den gesamten Weg zurück zum Absperrband eskortiert. Verdruckstes Schweigen.
Der Polizist lässt sich den Perso zeigen, kritzelt in sein Notizheft – dann darf der Fotograf gehen. Es wirkt alles wie einstudiert. "Was will er schon machen? Da wird gar nichts passieren", zischt Pudwell, als er auf der Brücke neben den anderen Kameraleuten steht.
Alle warten jetzt auf den Bestatter. Sie brauchen die Bilder, wie der Sarg in den Leichenwagen geschoben wird. Zwei Stunden vergehen. Gaffer halten an und fragen, was passiert ist. Es ist saukalt. Die Männer am Geländer sind Veteranen der Voyeurismusbranche, manche seit mehr als 20 Jahren im Geschäft. Sie machen Witze über Gewichtsprobleme und Kurzsichtigkeit. Meistens aber gucken sie schweigend auf ihre Handys, um keine bessere Geschichte zu verpassen.
Entscheidend ist nur, was hätte sein können
Drei Fotografen teilen sich nachts Berlin und ein bisschen Brandenburg. Einer beliefert "Bild" und "B.Z.", einer die "Morgenpost" und Pudwell alle anderen. Letztes Jahr hat mal ein Neuer versucht, ins Geschäft einzusteigen, erzählt er, aber sie haben ihn rausgedrängt. Nicht mit ihm geredet, herausgefunden, dass er im Knast gesessen lid und das ein paar Leute wissen lassen. Er bekam keine Aufträge mehr. "Ein bisschen recherchiert", nennt Pudwell das.
In vielen Nächten treffen sich die Profis in einer Tankstelle im Osten der Stadt. Sie essen zusammen Knacker und besprechen Verbrechen. Es sind wirklich leckere Knacker, muss man sagen. Die Männer reden über dice Bilder in ihren Köpfen, die geblieben sind. Die meisten wickeln sie in tiefschwarzen Sarkasmus. Er hilft, um den Horror zu verarbeiten. Ihre Auftraggeber betrachten so viel Verbrüderung mit Argwohn. Die Nachtjäger sollen die Konkurrenz ausstechen, sonst nichts. Aber was wissen diese Leute von der Straße? Niemand schafft die ganze Stadt allein. Die Berliner Feuerwehr chapeau in 24 Stunden durchschnittlich mehr als 1.200 Einsätze.
Das Problem ist: Vieles stellt human being sich erstmal schaurig vor, es erledigt sich aber noch auf dem Weg zum Einsatzort. Dice meiste Zeit jagen die Fotografen Geistern hinterher. In einer Nacht Anfang Februar verfolgt Morris Pudwell einen Streifenwagen über die Hermannstraße, der dann doch nur einen besoffenen Fahrradfahrer anhält. Tappt über verwaiste S-Bahnsteige, weil er vor dem Bahnhof ein Polizeiauto entdeckt lid. Rast von Kreuzberg bis ins tiefste Johannisthal, weil sich zwei vor einer Bar gehauen haben sollen. Dort erwartet ihn nur besenreines Nichts. Aber es zählt nur, was hätte sein können.
Der Klang der Sirenen
Deshalb muss human being den Notfall wittern, bevor es andere tun. Pudwell kann Krankenwagen, Polizeiautos und Löschfahrzeuge am Klang ihrer Sirenen unterscheiden. Bei unserem ersten Treffen im vergangenen Sommer rauchte er Shisha Birne auf der Terrasse eines Cafés. Mitten im Gespräch schreckte er auf, von irgendwoher trötete es schwach.
Blick aufs Brandish. "Wohnungsbrand um die Ecke, schätze nichts Großes. In zehn Minuten sind wir wieder da", sagte er. Es wurden dann acht. Ein kokelnder Topf auf dem Herd, Pudwell stieg nicht mal aus. Er sagte den exakten Zeitpunkt voraus, an dem das Feuerwehrauto um dice Ecke biegen würde. Zurück im Café bestellte er die nächste Wasserpfeife. Um seinen Hals hing ein giftgrünes Schlüsselband, auf dem stand: "Berliner Arroganz".
Zur Polizei darf er nicht
Vor seinem jetzigen Job hatte Morris Pudwell neun andere, nirgendwo hielt er es lange aus. "Ich mag Gleitzeit und habe ein Autoritätsproblem", sagt er. "In meinem Zeugnis wird nie stehen, dass ich teamfähig bin." Er machte eine Ausbildung zum Metallbauer, leitete die Obst- und Gemüseabteilung eines Supermarktes, fuhr Mietwagen in Parkhäuser und Aufzugteile quer durchs Land. Zuletzt drehte er Leuten überteuerte Internetverträge an. Er wurde krank und kündigte.
Weil er nun viel Zeit hatte, beschäftigte er sich mit dem, was ihn schon als Kind faszinierte: Verbrecher fangen. Pudwell wäre gerne selbst Polizist, das gibt er sofort zu, wenn human ihn fragt: "Einen Tag mal richtig aufräumen". Aber daraus wird nichts. Er hat sich früher ein paar Dinger geleistet, die er heute lieber nicht über sich lesen will. Also musste er auf die andere Seite des Absperrbandes.
Führerschein der Herzen
Zuerst half er einem Blaulicht-Fotografen, den er über ein paar Ecken kannte. Heute reden die beiden nicht mehr miteinander. Er fuhr zu Einsätzen, dice der andere nicht schaffte, die Bilder machte er mit seinem Handy. Dann kaufte sich Pudwell eine Kamera auf Raten. Seine Ware schickte er jetzt selbst an Redaktionen. So oft, bis die ihn nicht mehr ignorierten. Auch uns ließ er nicht in Ruhe. "Ich kannte keine Sau. Aber ich war dreist genug", sagt er über diese Zeit. In der Redaktion hielten wir ihn für ein Phantom mit Fantasienamen: Morris Pudwell? Wer state of war dieser Typ?
Als es gerade besser lief, musste er seinen Lappen abgeben. Seine Freundin machte nur ihm zuliebe erst den Führerschein und kurvte ihn dann mehr ein Jahr lang nachts durch Berlin. "Natürlich hatte ich keine Lust, auch bei dem hundertsten Warning rauszufahren. Aber ich habe gesagt, ich unterstütze ihn bei allem, was er wirklich will. Voraussetzung ist, dass es funktioniert. Und er lid mir gezeigt, dass das hier funktioniert", sagt seine Freundin. Auf der Rückbank steht heute ein Kindersitz.
Parkplatz, Treptower Park
Durchs Scheinwerferlicht huschen zwei Füchse in den Wald. Den Motor hat Pudwell ausgeschaltet. Wenn gerade nichts geht, lauert er hier unter der Laterne. Auch das lernt man, wenn man ein paar Nächte mit ihm durch Berlin fährt: Manchmal passieren für eine Stadt mit baldheaded vier Millionen Menschen stundenlang erstaunlich wenige Verbrechen. "Am langweiligsten sind Sonntage und Montage, ich weiß nicht wieso. Wenn es dann noch zu regnen anfängt, brauchst du gar nicht rausfahren", sagt er. Die Tropfen rinnen dice Scheiben herab.
Er guckt immer in Richtung der Straße. Hier muss die Bundespolizei vorbei, wenn sie in die Stadt gerufen wird. Dann wird es interessant. Nach Kreuzberg und zur Autobahn sind es nur ein paar Minuten.
Der Schein des Handybildschirms strahlt auf Pudwells müdes Gesicht. Er sieht sich ein Video an, das seine Freundin geschickt hat. "Sag: Gute Nacht, Papa!", hört human sie im Hintergrund rufen, "Sag: Papa schön aufpassen!". "Papa", brabbelt Pudwells Tochter und guckt in dice Kamera. Sie ist 17 Monate alt. Für einen Moment fällt sein Pokerface.
Immer ein Grund, rauszufahren
Seit sie auf der Welt ist, sei er vorsichtiger. Keine Demos mehr, auf denen ihn Neonazis, Islamisten oder Linksradikale anschreien, sagt er. Keine Einsätze in der Rigaer Straße, wo Pudwell und seine Kollegen mit Steinen beworfen werden. Bei Razzien im Clan-Milieu lässt er die Kamera ab und zu in der Tasche. Aber was ihm dort entgeht, muss er woanders verdienen. "Ich hab 'ne Familie zu ernähren", sagt Pudwell oft. Er hat Zukunftsängste. Seine Freundin ist in Elternzeit, danach macht sie ihr Psychologiestudium weiter. Viel zur Seite legen könne er nicht.
Frequently kriegt Pudwell nur fünf Stunden Schlaf, wenn sein Kind krank ist auch mal weniger. Zwei Tage dice Woche kümmert er sich um die Kleine, aber sein Rhythmus bleibt zerschossen: Ist der Alarm krass genug, fährt er zu jeder Zeit raus. Morris Pudwell ist ein Süchtiger, er wird immer einen Grund finden, warum es ausgerechnet dieses eine große Ding sein muss. "Von dem Gedanken an einen normalen Alltag musst du dich verabschieden", sagt seine Freundin.
Kommandantenstraße, Kreuzberg
Die Wände der Wohnblocks sind in Blaulicht getaucht. Pudwell knipst, wie die Sanis den Bewusstlosen aus dem Haus tragen: Ein magerer Isle of man Anfang xl, ausrasierte Schläfen, am Kopf kann man eine handbreite Wunde erkennen. Ein Bekannter hat ihm an seiner Wohnungstür den Schädel eingeschlagen. Seine Frau musste alles mitansehen. Jetzt kommt sie zum Rettungswagen, verwirrt, schwankend, mit aufgerissenen Augen. Sie sieht ihren Mann mit der Halskrause daliegen und schreit immer wieder "Fuck!", then laut, dass es die ganze Straße hört. Dazwischen hält sie sich die zitternde Paw vor den Mund. Pudwell hört auf zu blitzen. Es ist kurz nach halb eins. Fenster leuchten auf. Ein Mosaik auf fünf Stockwerken. Man sieht die Umrisse der Nachbarn.
Der Thriller "Nightcrawler" handelt von einem karrieregeilen Kameramann, besessen von der Jagd nach den blutigsten Bildern, die 50.A. zu bieten hat. Pudwell liebt den Picture show. Aber then stumpf wie dieser Typ ist er ziemlich sicher nicht. Der Berliner mag wie ein Zyniker wirken, aber oft möchte er einen mit seinen Sprüchen bloß testen. Einen Moment, nachdem er in wenigen Sätzen eine furchtbare Nacht zusammengetackert hat, fragt er: "Das wirkt total herzlos, oder?" Er will immer wieder wissen, ob man ihn für einen Freak hält.
Kiefholzstraße, Treptow
Die Menschen, die er fotografiert, tote oder lebendige, haben nur in den seltensten Fällen geahnt, was ihnen gleich zustößt. Morris Pudwell kommt erst, wenn es ihnen schon zugestoßen ist. Diesmal war es anders: An einem Vormittag Anfang Dezember, so erzählt er es später, ging er an einer Straßenecke zu seinem Wagen. Ein Laster bog nach rechts ab. Dann hörte er, wie etwas Großes über Asphalt geschleift wurde. Autofahrer stiegen aus und hoben die Hände, um den Lkw zu stoppen.
Als Pudwell um den Laster lief, sah er überall Blut. Ein Rentner und dessen zerstörtes Rad lagen unter den Reifen. Der Isle of mann brüllte vor Schmerz. Dann wurde er bewusstlos. Pudwell rief dice Feuerwehr. "Als ich gesehen habe, dass er versorgt wird, habe ich dice Kamera rausgeholt. Als ich fertig war, habe ich angefangen zu zittern. Ich war kreidebleich", sagt Pudwell. Die Linse schafft Distanz zwischen ihm und dem Abgrund. Aber manchmal hilft auch sie nicht. "Was für ein Scheißtag" schrieb Pudwell uns in seiner Post mit den Fotos. Zum ersten Mal brach er seinen Dienst ab und fuhr nach Hause. Das Opfer hat knapp überlebt.
Arbeitszimmer, Berlin
Als es hell wird, setzt er sich an den Schreibtisch, umgeben von seiner Sammlung: vier Deloreans aus "Zurück in die Zukunft", M.I.T.T, der weiße Cadillac aus "Ghostbusters". Museumsstücke seiner Kindheit.
Pudwell wählt 24 Fotos aus, vom verbeulten Skoda, den Skimasken, dem I-Telephone in Alufolie. Die Gesichter der Polizisten verpixelt er. Sein Werk ist getan. Die Titelzeile im "Berliner Kurier" wird lauten: "Vier Maskenmänner auf der Flucht - Polizei jagt Clan-Gangster durch Berlin". Rund 360 Euro verdient Morris Pudwell an diesem Crash. Die nächsten Tage will er kürzer treten, sagt er. Keine 24 Stunden später haben wir wieder neuen Stoff. Bombenalarm am Breitscheidplatz. Er unterschreibt: "Gruß, Morris".
Zeichnungen, Animationen, Schnitt und Sound:Mitya Churikov
Die Zeichnungen und Animationen basieren auf Fotos von Sebastian Schneider und Morris Pudwell.
Hinweis: Dieser Text wurde erstmals am 14.03.2020 veröffentlicht. Autor und rbb|24-Redakteur Sebastian Schneider war für seinen Text in der Kategorie "Beste Lokalreportage" für den deutschen Reporterpreis 2020 nominiert.
Source: https://www.rbb24.de/panorama/beitrag/2020/02/reportage-blaulicht-polizei-fotograf-morris-pudwell-berlin.html
Posted by: davisduct1971.blogspot.com
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